Texte über Claudia van Koolwijk

 

Kritikerstimmen

Het werk van Claudia van Koolwijk combineert steelvast vegetale en menselijke elementen, het momentane en de historiciteit, het spontane en de wetenschappelijke ordening (…) ’no hidden camera‘ – daarbij is de lighouding op de grond de meest voorkommende (…) Op die modellen legt ze dan bloemen (Vanitas), voedingswaren (Dionysisch) en objecten (…) Het is haar manier om de evidentie van het medium te deautomatiseren (…) Achtereenvolgens behandelt ze Shakespeare-sonnetten, de Apocalyps, Egyptenaren, magische kwadraten, alchemie, androgynie, Afrikaanse maskers en recenter tatouage, bodypaint en heomantie…
Johan Rooms

Ob ‚Ägypter‘ oder mittelalterliche Allegorien, ob biblisch alchimistische Szenen oder Dürers ‚Melencolia‘, alles wird collagenartig, farbig nachgestellt. Doch ist nichts prätentiös genau: Die Formen sind nur ungefähr, und die Inhalte werden dadurch oft leicht ironisiert. Die Machtsymbole aus Pappmache bedeuten aber nicht so sehr Kritik, sondern eher etwas Spielerisches: Um die Differenz zwischen Technik und Magie, zwischen Spur und Aura im Benjamin’schen Sinne auszuspielen, werden gleichermaßen der Glanz der Oberfläche und die Sinnlichkeit der Farben betont, wodurch die ‚Erscheinung der Ferne‘ und der ‚Eindruck der Nähe‘ stets präsent sind…
Blazenka Perica

Konfrontiert mit dem Ansturm von Dingen und Klischees, zeigt sich der Mensch für einen winzigen, unkontrollierten Augenblick entblößt. In einer hundertstel Sekunde hält die Kamera das Aufeinandertreffen von Künstlichkeit und Natur fest. Im Bild, das so entsteht, verschmelzen beide scheinbar zur Synthese. Den bleibenden Riß im Gefüge zeigt uns Claudia van Koolwijk in ihren Fotos…
Alfonso Hüppi

Claudia van Koolwijk sucht, wie mir scheint, vor allem nach jenem ‚Augenblick des Blicks‘, in dem wir uns erkennen, begegnen und verschenken können, in dem die Grenzen zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Tier, Mensch und Leben aufbrechen und für Momente aufgehoben sind…
Hans D. Jünger

Die Bilder konnten gelingen, weil die Anschauende dem Angeschauten versprochen hat, dass in der Begegnung allein die Liebe zählt…
Ausstellungskatalog ‚Wahlverwandtschaften‘

 

Claudia van Koolwijk
im Gespräch mit Barbara Weidle über Stoffarbeiten (Auszug)

BW: Stickerei hat eine Verwandtschaft mit Zeichnung. Gerade habe ich die wunderbaren Entwürfe für gewebte Wandteppiche von Ernst Ludwig Kirchner
mit den Textilproben von Lise Gujer wiedergesehen. Graphit und Wollfäden
auf Papier. Ein sehr lebendiges Liniengerüst mit ganz eigener Ausstrahlung.
CvK: Ich würde dir gern eine Arbeit zeigen. Ich habe bisher nur eine meiner
Zeichnungen in einem großen Format gestickt. Ich habe meine Mutter porträtiert, in der Woche bevor sie gestorben ist. Ich bin jeden Tag dagewesen.
Sie hatte es gern, wenn ich am Bett saß. Dann habe ich erst einfach so gezeichnet,
und später habe ich auch sie gezeichnet, das fand sie beruhigend. Diese Studien habe ich auch gestickt.
Jeden Tag habe ich meine Mutter gezeichnet. Das Verschwinden meiner Mutter wurde immer deutlicher. Man sieht hier auf der Zeichnung, dass sie jeden Tag schwächer und trauriger und kraftloser geworden ist. Am Anfang hat sie noch telefoniert, später wurden auch die Hände immer kraftloser und kleiner, die Augen gingen zu.
BW: Das ist eine sehr berührende Arbeit. Was für ein Material hast du
verwendet?
CvK: Seiden-Organza, einen durchsichtigen feinen Seidenstoff . Ich wollte das
Verschwinden meiner Mutter zeigen. Ich habe aber dann noch mal eine zweite Version von der Arbeit gemacht auf einem festeren weißen Seidenstoff mit grauer Linie, als mein Vater gestorben ist. Diese Arbeit ist mehr wie eine Zeichnung. Ich habe meinen Vater auch gezeichnet. Der sieht aber gar nicht prozesshaft aus, sondern immer sehr lebenskräftig, als würde er nie sterben. Ich hab das erst mit rosa Farben gemacht. Dann habe ich das Ganze nochmal auf Grau mit Weiß gestickt. Das ist wie Bleistift, wie eine Bleistiftzeichnung. Ich wollte meine Eltern gerne als Paar zeigen. Aber es sind schon andere Prozesse, und das sieht man auch.

BW: Diese Arbeit über deine Mutter, deine Eltern, hat eine große Spiritualität.
Wie ein sakraler Stoff , eine Reliquie oder so etwas.
CvK: Ja, das ist für mich auch wichtig. Der Tod meiner Eltern war eine große Herausforderung. Sie gehen zu lassen. Das ist mir bei meiner Mutter sehr
schwergefallen. Sie ist ganz plötzlich erkrankt. Nach einem halben Jahr war
sie dem Tod schon sehr nahe. Man hätte das nie gedacht. Sie war immer
topfit. Zu sticken war eine Möglichkeit, das zu verarbeiten. Aber ich musste immer auch weinen beim Sticken. Es war schwierig, schon beim Zeichnen. Meine Mutter wollte immer, dass ich fröhlich bin und positiv und wollte auch nie über den Tod reden. Das haben wir dann auch nie getan, auch über die Zeichnungen haben wir nicht gesprochen. Dann hat meine Schwester mich dringend gebeten, meine Mutter auf dem Totenbett zu fotografieren. Das war ganz furchtbar für mich. Ich habe die Fotos nicht gelöscht. Aber ich fand es besser, dass ich sie gezeichnet habe.
BW: Also im Grunde war das Zeichnen und Sticken eine Begleitung beim
Sterben und eine allmähliche Verabschiedung.
CvK: Genau. Es sollte eine Verabschiedung von meiner Mutter sein, eine Unterstützung auf ihrem letzten Weg. Es hat auch eine gute Stimmung bei ihr
gemacht. Es war so eine angenehme Aufmerksamkeit für sie. Sie ist immer wieder eingeschlafen. Das war dann gut (…)

Fotografie und Allegorie
Von Maria Kreutzer

„Ich muß für den Anfang auf dem einen Punkt bestehen – auf dem Felde des Sehens ist der Blick draußen, ich werde erblickt, das heißt ich bin Bild (tableau)…“ (J.Lacan)

In dem Claudia van Koolwijk sich selbst oder andere Personen in ihren Bildern den Allegorien anverwandelt, wendet sie sich gegen die Bestimmung der Allegorie in ihrem traditionellen Sinn. Wortwörtlich heißt »allegorein« »etwas auf andere Weise ausdrücken«. In der Antike wollte man hierdurch Mythen und erzählte Geschichten durch Allgemeingültigkeit beanspruchende Prinzipien ersetzen. Meistens werden weibliche Figuren zu deren Darstellung verwandt. Tugenden und Laster, Prinzipien des Rechts, des Staates und der Moral werden personifiziert. Justitia (Gerechtigkeit), Iniustitia (Ungerechtigkeit), Fides (Glaube, Treue), Prudentia (Klugheit, Vorsicht) usw. werden als Denkmal, Gemälde oder Graphik gezeigt.

Verschiedene Autoren und Autorinnen beschäftigen sich mit der Frage, warum Allegorien meist weiblich dargestellt sind, wo die Frau noch im letzten Jahrhundert aus allen wichtigen öffentlichen Bereichen ferngehalten wurde. Dies scheint erst in zweiter Linie gesellschaftspolitische Implikationen derart zu haben, wie E. Bornemann sie annimmt, wenn er Allegorien als Besänftigungsfunktionen zur Rechtfertigung für die Unterdrückung der Frau sieht (E. Bornemann, Das Patriarchat, FfM 1975, S.367). Mit der These, die patriarchale Gesellschaft brauche weibliche Allegorien, da sie wie die Frauen »das strukturelle Chaos einer ungeordneten Lebenswelt verkörperten« (B.Wartmann), ist ein realer Kern getroffen, insofern das real Weibliche in der abendländischen Kultur als Natur, Chaos, Körper, Maske, Schein, Oberfläche – besonders deutlich in Religion und Philosophie – im Gegensatz zur Wahrheit gedacht wird. Ansonsten hat es nur die Chance, idealistisch überhöht zu werden.

In eben diesem Sinne sind auch die Allegorien zu verstehen. »Weibliches« ist hier immer schon »zweite Natur«, das aber heißt kulturelles Element. Als solches ist es nicht nur der Frau zuzuordnen, sondern ebenso dem weiblichen Anteil des Mannes, vielleicht im Sinne der »Anima«, die über reales Mann- oder Frausein hinausweist. Als »Mangel an Sein« erfahren, ist diese jedoch nicht naturwüchsig zu verstehen, sondern durchaus gesellschaftlich und kulturell begründet. Viele Allegorien sind daher auch historisch mit der Herausbildung des antiken wie des bürgerlichen Staates verknüpft. Um die positiven Eigenschaften eines Herrschers darzustellen, wurde daher häufig auf (weibliche) Allegorien zu seinen Füßen, an seinem Sockel, zurückgegriffen.

Im Barockdrama wurde die Figur des Herrschers oder Tyrannen innerhalb der Temperamentenlehre der Melancholie zugeordnet, die wiederum dem Saturnischen entsprach. Polarität, sich widersprechende Eigenschaften in einer Person sind daher typisch. Beim Machtmenschen zeigt dies sich häufig in etwas Schwankendem, Treulosem in seinem Charakter, da er selbst ja an höhere Gesetze schicksalhaft gebunden ist. Halt sucht der Melancholiker in der Dingwelt, für die geometrische Gegenstände und Meßgeräte signifikant stehen. (…) Doch auch für weniger geniale Allegoriedarstellungen vergangener Zeiten gilt, daß ihr Bildliches deren allgemein Prinzipienhaftes überschreitet. Denn obwohl Allegorien traditionell Bedeutungen sind, haben sie als Bilder, die einen Begriff verkörpern sollen, etwas Nicht-Intentionales, Nichtsprachliches.

Dies haben sie mit der Photographie gemeinsam. Und Claudia van Koolwijk unterstreicht dieses Moment, indem sie ihre Photos Allegorien nachstellt und ebenso nennt. Sie führt die Idealisierung des Weiblichen in der klassischen Allegorie ad absurdum. Unbekümmert geht sie mit dem inhaltlichen und formalen Repertoire alter Kunstwerke um. So ersetzt sie in dem Photo »Melancolia« nicht nur die weibliche, sitzende grübelnde Gestalt durch eine männliche. Die Krone des Herrschers ist aus Pappmache, das Gewand des Königs ein wohldrapiertes Bettlaken. Die Gerätschaften, die in Dürers Stich nutzlos am Boden rumliegen, sind penibel gestochen. Bei Claudia van Koolwijk werden sie, noch bevor sie abgelichtet werden, zu an Matisse oder Picasso erinnernden graphischen Mustern. Das gilt auch für die Kugel als Erdsymbol und den Stein als Sinnbild der Trägheit des Herzens, wie für die blaue Fläche, die die Meereslandschaft Dürers, die für die Neigung des Melancholikers zu weiten Reisen steht, ersetzt.

Verkleidung, Ironisierung von Posen, Doppel, Hülle, der für jedes Photo speziell künstlich hergestellte Hintergrund, sind Mittel der Künstlichkeit, Ersatz, wie es das Photo per Definition ist. Ersatz für ein Abwesendes, das als Anwesendes beschworen wird. Diese Künstlichkeit macht den Glimmer, den Glanz aus, durch den Ideales und Konkretes im Sichtbaren versöhnt werden.

So wenig man den Körper auf eine Allegorie reduzieren kann, so wenig läßt sich Bildliches ein für allemal festlegen: denn ihm ist ein Überschuß an Nichteindeutigem wesensmäßig eigen. Claudia van Koolwijks »Allegorien« machen sich von der aus der idealistischen Ästhetik entstammenden Trennung von Oberfläche und Tiefe, Körperlichkeit als Äußerlichkeit und sog. innerem Wesen, Schein und Wesen zugunsten des Scheins frei.

„Durch den Blick trete ich ins Licht, und über den Blick werde ich der Wirkung desselben teilhaftig. Daraus geht hervor, daß der Blick das Instrument darstellt, mit dessen Hilfe das Licht sich verkörpert, und aus diesem Grund auch werde ich – wenn Sie mir erlauben, daß ich mich, wie so oft, eines Wortes bediene, indem ich es in seine Komponenten zerlege – photo-graphiert.“ (J. Lacan)

Spiegelbilder
Von Blazenka Perica

Zwischen den Fotoporträts und den Spiegelbildern herrscht auf den ersten Blick eine Spannung, die das Gegensätzliche auszeichnet. Das, was die Porträts nach klassischen Kunstvorstellungen anstreben, das Ebenbild, kann sich niemals spiegeln. Trotzdem, oder genau deswegen stehen sowohl die Treue der nachbildenden Darstellung, die Nachahmung, wie auch der, der sich am Spiegel orientiert, unter dem generellen Verdacht des Truges: Er verfehlt sein eigentliches Selbst, geht wie Narziß an wahnhafter Selbstbespiegelung zugrunde oder wird, im christlichen Sinne, wegen Eitelkeit in Zweifel gezogen.

Vor dem Spiegelbild stehen wir also vor derselben Frage wie bei der Definition der Kunst, der Mimesis: Ob List oder Lust, ob das Wahre oder das Falsche, es geht immer um das Verhältnis von schöpferischen Menschen, um die Identität des Künstlers und die Identität der Welt, die sich uns, egal ob Natur, Leben oder Realität genannt, nur fragmentarisch, augenblicklich oder zerstückelt öffnet. Die Identitätserfahrung gleicht der Bilderfahrung: In Ähnlichkeiten an äußeren Erscheinungen wie auch im Scheinen innerer Vorstellungen ist unklar, ob man im Bild die Selbstbestätigung der erworbenen Subjektivität oder die Möglichkeit von Spiegelkombinationen, von Vervielfältigungen und somit Verunsicherungen gewinnt. Die Kunst, die anderen zu sehen, gleicht dem Streben, sich selbst zu identifizieren. Die glatte Oberfläche der Fotoporträts von Claudia van Koolwijk wird zum Spiegel mit dem gleichen Glanz.

»Es gibt in unserem Zeitalter kein Kunstwerk, das so aufmerksam betrachtet würde wie die Bildnisfotografie des eigenen Selbst, der nächsten Verwandten und Freunde, der Geliebten«, schrieb Lichtwark 1907. Damals ging es um die Debatte »Fotografie als Kunst« oder »Kunst als Fotografie«, wobei der Unterschied zwischen ästhetischer Distinktion und sozialer Funktion gezogen wurde. Die Diskussionen um die Autonomie beziehungsweise Transparenz der Kunst dem Leben gegenüber sind heute aktueller denn je, und keiner weiß genau, wo die Grenze zwischen beiden Polen zu ziehen ist.

Der Künstler bestimmt mit seinen Werken, was Kunst ist, und dies macht sein Leben aus. Genau diesen Zustand der Durchlässigkeit zu veranschaulichen, ja in ihrer Arbeit zu verwirklichen, machen sich viele zeitgenössische Künstler zu ihrer Aufgabe. Denselben Eindruck vermitteln die Fotoporträts von Claudia van Koolwijk. Nichts scheint ihnen fremder zu sein als die Objektivierung der Wirklichkeitsbetrachtung, jenes Merkmal, das beispielsweise in den Porträts von Thomas Ruff so deutlich ist. Auch zielen diese Fotos nicht darauf, einen flüchtigen Blick einzufangen, in jenem Bruchteil einer Sekunde, der notwendig ist, um den Film zu belichten, die zufälligen Passanten oder Geschehnisse zur »Kamerabeute« zu machen. Nur das von ihr entworfene Blickfeld, das sie, lange bevor sie auf den Knopf drückt, ausgewählt, ausgearbeitet und vorbereitet hat, bestimmt den Ausschnitt ihrer Fotos. Dem Hintergrund, den sie mit Papiercollagen, Stoff und Blumen schmückt und dekoriert, dienen als Vorlage historisch bekannte Kunstwerke. Fast in allen ihren Arbeiten ist die Orientierung an der Kunstgeschichte spürbar, auch dort, wo die Titel wie »Ägypter«, »Allegorien« oder »Melancolia« nicht vorhanden sind, wo nur eine Geste, ein Lächeln aus der großzügigen, ornamentträchtigen Farbfläche eine bestimmte Erinnerungsquelle in den Vordergrund ruft. Immer bleibt etwas von historischen Vorbildern erkennbar, als Renaissanceordnung, als Caravaggios oder Vermeers Blick und als Prärafaelitengefühl.

Nichts ist prätenziös in diesem Verfahren: Die Formen sind nur ungefähr, und die Ernsthaftigkeit der Inhalte gerät dadurch zu leichter Ironisierung, die nicht so sehr auf Kritik, sondern eher auf der Unbekümmertheit des Spielerischen aufbaut. Womit wird gespielt? Um die Differenz zwischen Technik und zwischen Spur und Aura im Benjaminschen Sinne auszuspielen, betont Claudia van Koolwijk in ihren Fotos in gleichem Maß den Glanz der Oberfläche wie die Sinnlichkeit der Farben. Dadurch ist die »Erscheinung der Ferne« und der »Eindruck der Nähe« stetig präsent.


Die geschichtliche Kunstwelt und der gegenwärtige Gehalt entstellen sich gegenseitig und betonen das Künstliche. Dem Wesen der technischen Bilder entspricht dieses Künstliche ohnehin, was auch die artifiziellen Posen der Modelle, die Claudia van Koolwijk fotografiert, unterstreichen. Verkleidet oder direkt auf der Haut bemalt und für eine Weile umgewandelt, spielen sie mit, werden in Szene gesetzt, lassen sich einem der vorbereiteten Hintergründe zuordnen: überlassen sich nicht so sehr dem Blick der Kamera als den Wunschvorstellungen der Künstlerin. Sie wissen, daß Claudia van Koolwijk sie in verschiedene Zeiten und Geschichen versetzt, aber sie vertrauen ihr. Das sind die Menschen, die die Künstlerin gut kennt: ihre Freunde, Leute aus ihrer Lebensumgebung und nicht selten sie selbst werden vor dem Kunsthintergrund dargestellt und somit zu ihrem Kunstwerk.

Auf diese Weise wird nicht nur das klassische Bildproblem des Verhältnisses von Figur und Hintergrund um das soziale Umfeld erweitert, als Verhältnis von Kunst und ihrem Kontext aktualisiert, sondern durch den Blick auf die anderen, durch die Kunst des Porträts stellt sich auch die Frage nach dem Selbst, nach der eigenen künstlerischen Identität. Die Vielfalt an Kultur- und Kunsterscheinungen eröffnet Claudia van Koolwijk und all den ihr nahestehenden Personen die Erfahrung von Möglichkeiten bestehender Identität, eine Identifikation in zahlreichen Verwandlungen. Dies spiegelt sich in den berührungsscheuen Oberflächen der Fotoporträts als wechselseitiges Blickspiel zwischen Kunst und ihrer Umwelt: Das Eigene wird öffentlich, der Betrachter beobachtet sich selbst.

Dieselbe Intention, allerdings in Umkehrung der Sehperspektive, offenbaren auch die Spiegelarbeiten. Die Künstlerin sagt: »Das eigene Bild im Spiegel wird zum Blick auf die anderen Fotos. Die Porträts verweisen wieder auf mich.« Die bisherige schmuckvolle anthropomorphe Landschaft findet sich in umgekehrter Welt wieder. Es sind keine gewöhnlichen Spiegel: in ihnen wird alles deformiert, fehlerhaft, merkwürdig. Die an das Schöne der Kunst gebundenen Hintergründe stehen plötzlich vor uns, treten als Vordergrund auf, das Verzier wird verzerrt. Der elegante, oft melancholische und humorvolle Charme der Porträts ist nur eine Seite des von Anfang an vorhandenen manieristischen Kunstverständnisses. Das Irreguläre, das Unheimliche, ja Bizarre gehört genauso dazu wie das Galante. Mit derselben Künstlichkeit, mit der manche Hand die grazile Blume hält, entblößen sich schamhaft in der Haut versteckte Tätowierungen wie heimlich vor der Kamera. Auf die gleiche Abwesenheit des Körperhaften, die manche Nacktheit in Lächeln hüllt, deuten auch die verflossenen Formen der Glieder, ahnungsvoll im Glanz der verzerrten Spiegelbilder.

Was bisher sich nur als »eine zarte Empirie des Sehens« (Goethe) abspielte, intensiviert und ergänzt sich jetzt in einer Neigung zum Verfremdeten. In der Betonung des Ausdrucks führt Claudia van Koolwijk eine Steigerung des Eindrucks vor. Es geschieht wie eine lustvolle Erfahrung, nicht der meßbaren Wirklichkeit, sondern gemäß der Vorstellungen von ihr. Denn nicht auf das Schöne der Regel kann man sich im »Labyrinth der Welt« (Comenius) verlassen – dieses wohnt nur in der Ahnung des Herzens.

Im Augenblick des Blicks
Von Hans Dieter Jünger

Wo keine Liebe ist, verstehen wir nichts, meinte Augustinus – und was wir nicht verstehen, das sehen wir auch nicht, jedenfalls nicht in seinem Sosein, seiner Eigenheit, also nicht wirklich. Claudia van Koolwijk liebt, versteht und sieht zweifellos sehr viel.

Sie erkennt unscheinbare Details und subtile Zwischentöne und Nuancen, die flüchtigeren Blicken leicht entgehen. So vielfältig, oszillierend und immer wieder überraschend ihre Fotografien auch anmuten – das Märchenhafte und Magische steht neben dem Morbiden, eine tief katholische verstohlene Lust am Verfemten und ‚Sündigen‘ neben kraftvoller schamanisch heidnischer Natur- und Lebensanbetung, das alchimistisch oder raffiniert Inszenierte neben dem kindlich Unbefangenen: die Eigenart ihres Blicks ist unverkennbar – gleichgültig ob es nun, um nur einige der zentralen Werkgruppen der Künstlerin zu erwähnen, um blühendverwelkende Blumensträuße, um poetische Bildinstallationen, um „Wimmel“-Familienbildnisse mit Kindern, um Stillbilder oder, nicht zuletzt, um das Künstlerporträt geht – ein Feld, auf dem Claudia van Koolwijk besondere Anerkennung gefunden hat. (…) Allerdings wäre die Annahme dürftig, dass CvK einem im vordergründigen Sinn feministisch ‚vorprogrammierten‘ Blick huldigt, der die Frauen stark und meist in blühender, zuweilen aber auch distanziert-unterkühlter Selbstgefälligkeit, die Männer dagegen nicht selten verletzlich, zerrissen, als verwunschene schlafende Prinzen oder gar hysterisch oder zerknirscht am Boden liegende ‚Opfer‘ zeigt.

Mir scheint oft, als fänden gerade die Opfer und Verlierer, jedenfalls die Sichverschwendenden – und nach einem nach wie vor gültigen Diktum Adornos ist ja heutzutage derjenige, der mehr liebt, immer der Betrogene – sogar ihre bevorzugte Sympathie und Zuneigung. So als wolle sie ihnen in einem animistischen oder alchimistischen Ritual gleichsam ein Stück Würde zurückschenken – was ihr wohl auch tatsächlich erstaunlich oft gelingt. Ich finde in diesen Bildern mitunter einen Anspruch am Werk, auch und gerade dem Verständnis und besondere Gunst entgegenzubringen, was sich auf Anhieb unserem Verstehen nicht erschließt. So als gehe es zuletzt immer auch um eine Rehabilitation der Gabe im ursprünglichen Wortsinn, also um jene Verausgabung, die erst Lebendiges zeugt und deshalb eine heilsame ist.

Dabei stehen, sieht man von der floralen Stillebenfotografie einmal ab, bei CvK Menschen, vor allem das Menschengesicht, in das sich die Spuren und Erfahrungen eines Lebensweges eingeschrieben haben, unverkennbar im Mittelpunkt. Claudia van Koolwijk ist Menschenbildnerin, Seelenbegleiterin, vielleicht, wer weiß, ein stückweit auch eine Art animistische ‚Heilerin‘ ihrer jeweils Porträtierten. Sie gibt dem Menschenantlitz als einem immer schon unverwechselbaren Inbild des erfahrenen Lebens gleichsam ein, gestisch oft zugespitztes, ‚geöffnetes‘ An-Gesicht. Ob die Absolventin der Schwegler-Klasse der Düsseldorfer Kunstakademie nun ‚botansierend‘ an abgelegenen Außenorten mit unverwechselbaren genius loci fotografiert oder mit aufwendig vorbereiteten textilen Hintergrundentwürfen, die religiöse, archaische und schamanische Motive frei verwebend, ebenso ‚unfertige‘ wie verzaubernde künstliche Innenräume schafft: der Fokus liegt immer unverkennbar auf dem vielfältigen Vokabular, der Sprache und Ansprache des menschlichen Gesichts, seiner jeweiligen subtilen Gestik, seiner nicht zu verleugnenden Befindlichkeit und Gestimmtheit – und auch seinem Zusammenspiel mit dem Licht.

Claudia van Koolwijk versteht es dabei insbesondere, das natürliche Sonnenlicht zu oft erwärmenden und illuminierenden Farbtemperaturen zu verdichten: die Fotografie als Werkzeug und Verlängerung des Organischen, des Wachsens, Zeugens und ‚Zur-Welt-Kommens‘. Auch unverkennbar strapazierten und bedrängten Viten entlockt und verleiht diese Haltung nicht selten neu aufkeimende lebensbejahende Züge: „Die Bilder konnten gelingen, weil die Anschauende dem Angeschauten versprochen hat, dass in der Begegnung allein die Liebe zählt…“ (aus dem Ausstellungskatalog ‚Wahlverwandtschaften‘). Die Sinnlichkeit ihrer Fotografien, ihre geheime Liebe zum leibenden und verleiblichten Leben ist offenkundig, aber diese ‚Nacktheit‘ und Körperlichkeit, die nur ein verkopfter Blick für ’nazarenisch‘ halten kann, erscheint bei ihr diesseits jedes Voyeuristischen oder Vernutzenden.

Die Fotogafien atmen, so entblößend sie auch in gewisser Hinsicht sein mögen, immer auch Verletzlichkeit. Sie bekennen sich zu ihrer ‚Schwäche‘, der je konkreten und unwiederholbaren Begegnung, dem erkannten Augenblick immer den Vorrang zu lassen vor einem wie auch immer gearteten kunsthistorischen oder formalen Prinzip (…)


Das Leben selbst ist, so ahnt uns in luziden Augenblicken, rätselhaft, wunderlich und vielleicht sogar, wer weiß, in seinen Wurzeln hysterisch (hysteria ist der griechische Name für die Gebärmutter). In Claudia von Koolwijks Fotografien spricht uns die Gabe zu, mit solchen Augenblickswahrheiten, die wir immer wieder vergessen, zu rechnen. Claudia van Koolwijk sucht jedenfalls in allem nach jenem ‚Augenblick des Blicks‘, in dem wir uns erkennen und begegnen können, in dem die Grenzen zwischen Mensch und Mitmensch, Mensch und Tier, Werden und Vergehen, Lebensinnigkeit und Lebensferne aufbrechen und für Momente aufgehoben sind.